Gedicht mit Käfer
Über das leere Blatt Papier kriecht ein kleiner Käfer der
keine Spuren hinterläßt wie einsam muß dieser
Käfer sein über den ich nichts weiß und der keine Spuren
hinterläßt auf einem neugierigen Blatt Papier kommt
er aus dem Osten oder von Athos ist er Inder
oder orthodox oder Anarchist oder in der Friedensbewegung
oder schwul oder Biertrinker oder Fetischist oder alles
zusammen wird er abgeschoben ist er
heimatlos oder Deutscher der auswandern will und
weiß das wovor er flieht ist universal oder schreitet
er bloß so majestätisch einher um dem Nichts
Erhabenheit zu verleihen wie heißt dieser kleine
Käfer und weshalb sucht er dieses Blatt
Papier auf über das er so demonstrativ kriecht ohne
eine Spur zu hinterlassen
Bedrohung
für Werner Söllner
Jetzt da die Heuschrecken kommen und nicht
die Barbaren, auf die wir uns herausreden
wollten, sind wir ziemlich ratlos, denn was machen
wir mit Wesen, die uns nicht ähnlich sind, wissen
sie überhaupt, weshalb sie kommen, was sie von uns
wollen, schätzen sie unsere Frauen, Banken, Gepflogenheiten,
Weine, Autobahnen, kann man denn Heuschrecken
dienen, ihnen Opfer darbringen und wieder
zum Tagegeschäft übergehen, lassen sie sich gebührend
feiern, verehren, können sie im Schlaf sehen, und darf man
ihn stören, wenn Feinde im Anzug sind oder Naturkatastrophen
hereinbrechen, haben sie Sprichwörter, in denen man sich
vernünftig einrichten kann, ist ihre Willkür ihnen heilig, also
berechenbar, haben sie Götter, Ziele, Visionen, kann man
sie gütig stimmen, indem man mit ihnen mitzieht, nach
Osten, nach Westen, oder macht man bei Heuschrecken
alles falsch? Sie sollen, anders als die Barbaren, die einzigen
sein, die ihre jämmerlichen Geschichten für sich behalten
und Würde zeigen, und fortan geschichtslos zu
sein, das macht uns Angst.
Beide Gedichte sind im Herrenhaus Edenkoben entstanden.
Erstveröffentlichung in "EXTRAKT. 10 Jahre Literatur im Herrenhaus Edenkoben". © Alle Rechte beim Autor.